Anlässlich des Internationalen Tages zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen am 25. November2020 sensibilisieren Babbel, die weltweit erfolgreichste Sprachlern-App, und HateAid, die Beratungsstelle für Betroffene digitaler Gewalt, für die Gefahr verbaler und digitaler Gewalt. Täglich sind Frauen weltweit von Gewalt betroffen, die gesundheitsschädlich, lebensbedrohlich und sogar tödlich sein kann. Dabei ist Gewalt gegen Frauen nicht ausschließlich physisch. Auch Sprache ist gewalttätig.
Über 50 Prozent der Frauen haben digitale Gewalt erlebt.
Erst kürzlich wurde in einer Studie der Kinderrechtsorganisation Plan International veröffentlicht, dass 70 Prozent der Mädchen und jungen Frauen im Alter von 15 bis 24 in Deutschland Bedrohungen, Beleidigungen und Diskriminierungen im Netz erleben. Aus einer Umfrage zu verbaler und digitaler Gewalt an Frauen, die Ende Oktober von Babbel in Auftrag gegeben wurde, geht hervor, dass mit 51,1 Prozent auch ein Großteil der Frauen im Alter von 18 bis 29 Jahren Gewalt in digitalen Medien erleben. Unter den Frauen zwischen 30 und 39 Jahren hat mehr als jede vierte Frau digitale Gewalterfahrung gemacht (29,2 Prozent). Bei den Befragten im Alter von 40 bis 49 Jahren sind es mit 24,8 Prozent nur etwas weniger. Dabei kann digitale Gewalt an Frauen in vielerlei Form auftreten. 40,1 Prozent der kürzlich befragten Frauen im Alter von 18 bis 29 Jahren geben an, schon mal digitale Gewalt in Form von Kommentaren und Nachrichten in sozialen Netzwerken erfahren zu haben. 27,9 Prozent wurden schon mal in privaten Nachrichten (z.B. via SMS oder WhatsApp) beleidigt oder sexuell belästigt. Mehr als jede fünfte Frau (21,2 Prozent) hat digitale Gewalterfahrung in Dating-Apps gemacht. “Auffällig ist, dass digitale Gewalt gerade Frauen gegenüber oft sexualisiert ist”, so Claudia Otte, Sozialarbeiterin bei HateAid. “Sie reicht von rüden Beschimpfungen bis hin zu Vergewaltigungswünschen.”
Digitale Gewalt ist eine Form verbaler Gewalt
Otte ist Teil des Teams in der Betroffenenberatung bei HateAid, die einzige Beratungsstelle Deutschlands, die ausschließlich Betroffene digitaler Gewalt unterstützt. Die Zahlen bei HateAid zeigen, dass Frauen doppelt so häufig von digitaler Gewalt betroffen sind wie Männer. “Derzeit betreuen wir ca. 300 weibliche Betroffene”, so Otte. Der Sammelbegriff digitale Gewalt umfasst dabei verschiedene Formen der Herabsetzung, Belästigung, Diskriminierung, sozialen Isolation und Nötigung anderer Menschen im Internet oder mit Hilfe elektronischer Kommunikationsmittel. Hierzu zählen unter anderem Beleidigung, Verleumdung, üble Nachrede, Bedrohung, Erpressung, Hassrede, Cybermobbing und Cyberstalking. Auch das sogenannte Doxxing, das Veröffentlichen von privaten Daten wie z.B. der Privatadresse, gehört dazu. Otte erklärt: “Die meisten Fälle digitaler Gewalt sind verbale Gewalt. Dabei werden digitale Verbalattacken von Betroffenen als so einschneidend erlebt, weil sie oft kein Gegenüber haben, sondern nur eine anonyme Masse, die nicht greifbar ist und der sie sich hilflos und ohnmächtig gegenübersehen.” Hinzu kommt, dass das Internet für alle zugänglich ist und nie vergisst. Ein anonymer, öffentlicher Post kann ausreichen, um den Ruf einer Person nachhaltig zu schädigen.
Verbale Gewalt: Viel mehr als verletzende Worte
“Von verbaler Gewalt sprechen wir, wenn Sprache bewusst dazu eingesetzt wird, Individuen oder Menschengruppen zu beleidigen, zu demütigen, zu belästigen oder auszugrenzen”, erklärt Cornelia Lahmann, Angewandte Linguistin bei Babbel. “Selbstwenn frauenverachtende und hasserfüllte Texte und Kommentare indirekt in Liedtexten oder Online-Foren verbreitet werden, beeinflussen sie das Selbstbild von Millionen von Mädchen und Frauen.”Lahmann erläutert die heimtückische Problematik verbaler Gewalt aus sprachwissenschaftlicher Perspektive weiter: “Ein Sprechakt, wie zum Beispiel ein beleidigender Twitter-Post, ist in erster Linie bloß eine Aneinanderreihung von Worten. Wird seine Gesamtbedeutung jedoch für wahr empfunden, kann er zu schwerwiegenden, emotionalen Verletzungen führen. Doch es geht noch weiter: Sprache prägt die Wahrnehmung aller und führt zu Vorurteilen und Stigmatisierungen bis hin zu respektlosem und aggressivem Verhalten. Zu erkennen, dass Worte eine Quelle von Gewalt sein können, ist deshalb ein wichtiger Schritt für die Bemühung um einen gewaltfreien Ort –sowohl digital als auch analog.” Problematisch ist, dass verbale, digitale Gewalt oft nicht als Gewalterfahrung benannt wird. Die Auswirkungen sind auf den ersten Blick nicht unbedingt sichtbar und werden nicht immer ausreichend ernst genommen. Dabei sind psychischer Stress, Angstzustände, Depressionen oder Drogenmissbrauch zum Teil lebensgefährliche Folgen.
Betroffene sollten sich deshalb rechtzeitig Hilfe suchen: “Das Medium Sprache fügt Menschen mindestens genauso großen Schaden zu wie physische Gewalterfahrungen”,erklärt Otte. “Wir empfehlen, sich rechtzeitig an spezialisierte Beratungsstellen zu wenden. Manchmal ist auch eine dauerhafte Psychotherapie hilfreich. Nach einer emotional stabilisierenden Erstberatung können die Betroffenen auch erwägen, juristische Schritte zu gehen und ggf. Anzeige zu erstatten. Auch eine Beratung zur weiteren Kommunikationsstrategie und eine (IT)-Sicherheitsberatung kann sinnvoll sein.”
Anstieg an Hilfeanfragen seit Beginn der Pandemie
Weltweit ist im Zuge der Corona-Pandemie eine Zunahme an zwischenmenschlicher Gewalt zu beobachten. Vor allem die Gefahr häuslicher Gewalt ist gestiegen. Auch bei HateAid ist Otte zufolge seit März ein Anstieg von Beratungsanfragen zu beobachten.Die Folgen von Quarantäne und Kontaktbeschränkungen, Frust und Wut aber auch Angst und Verzweiflung machen gerade vor dem Netz keinen Halt. Wenn möglich, sollten sich deshalb auch Nichtbetroffene dazu aufgerufen fühlen, achtsam mit Menschen aus ihrem Freundes-und Bekanntenkreis zu sein. “Sprechen Sie mit Menschen, von denen Sie glauben, sie erfahren digitale Gewalt und finden Sie heraus, wie Sie der betroffenen Person individuell helfen können”, rät Lahmann. “Denn Sprache kann nicht nur verletzen –Sprache kann auch helfen.”