Anlässlich des diesjährigen „Behaupte-Dich-gegen-Mobbing-Tags“ am 22. Februar weist SOS-Kinderdorf auf die wachsende Problematik des Cybermobbings hin: Lockdown-bedingt nutzen Kinder und Jugendliche verstärkt das Internet und soziale Medien, auch ohne Beistand durch Erwachsene. Gleichzeitig werden soziale Kontakte ins Netz verdrängt und viele junge Menschen fühlen sich auf Grund der Pandemie verletzlicher und einsamer. Das macht viele Kinder und Jugendliche noch angreifbarer für Cybermobbing. SOS-Medienexpertin Dr. Karen Silvester ermutigt Eltern daher, ihre Kinder zu stärken und gleichzeitig zu sensibilisieren: „Junge Menschen müssen verstehen, dass es in der virtuellen Welt genauso Konflikte und Schwierigkeiten gibt wie im „real life“ – und dass es Möglichkeiten gibt, diesen zu begegnen. Kinder haben auch online ein starkes Bedürfnis nach Sicherheit, Zugehörigkeit und Anerkennung; wenn diese Bedürfnisse aber verletzt werden, sollten sie rechtzeitig Alarm schlagen und sich mitteilen. Bestärken Sie sie, frühzeitig über mögliche Probleme zu sprechen und auch selbst gegen feindliche Stimmung im Netz einzustehen anstatt mitzumachen.“
Seit Beginn der Pandemie tritt Cybermobbing als verschärftes Problem auf, das junge Menschen in der sowie schon angespannten Lage stark belastet. „Cybermobbing ist ein wachsendes Risiko. In der Pandemie verlagert sich das soziale Leben mit all seinen Vor- und Nachteilen ins Netz – und dort sind junge Menschen Mobbing noch stärker ausgeliefert als im realen Leben. Online ist es noch schwieriger, Beleidigungen aus dem Weg zu gehen oder Falschaussagen zu widerlegen. Viele Kinder und Jugendliche sind damit überfordert“, analysiert Medienexpertin Silvester die erschwerte Lage von jungen Menschen in Zeiten von digitalem Unterricht, vermehrter Mediennutzung und beschränkten realweltlichen Kontakten. Auch Studien belegen, dass soziale Konflikte seit Pandemie-Beginn verstärkt ins Netz verlagert werden. So gaben in der JIM-Studie 2020** 29% der befragten Jugendlichen zwischen 12 und 19 Jahren an, dass falsche oder beleidigende Aussagen über sie online verbreitet wurden – ein klarer Anstieg gegenüber den vorherigen Jahren. Eltern, aber auch Bildungsinstitutionen und Lehrer*innen, sind daher gefragt, junge Menschen vor virtuellem Mobbing zu schützen. Denn Cybermobbing sei für Kinder und Jugendliche ein besonders beängstigendes Phänomen, da sie diesem selbst im vermeintlich sicheren Zuhause nicht entgehen könnten, so die Diplompädagogin.
Wie können Eltern vorbeugen?
„Kinder brauchen Eltern und Pädagog*innen, die eine reflektierte und alltagspraktische Haltung zum Thema Mediennutzung haben, und sie von Anfang an – aber ohne Panik und Aktionismus – befähigen, über virtuelle Konflikte und Schwierigkeiten zu sprechen und sie zu bewältigen“, konstatiert die Expertin. Junge Menschen müssten zunächst ganz grundsätzlich einen richtigen und verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Medien erlernen und altersgerecht für mögliche Gefahren sensibilisiert werden: „Ähnlich wie man als Kind lernt, wie man sich im Straßenverkehr zu verhalten hat, so sollte man jungen Menschen auch grundlegende Regeln im virtuellen Leben nahbringen.“ Das Gespräch sollte man als Präventionsmaßnahme zudem niemals unterschätzen: „Eltern sollten wissen, was ihre Kinder im Netz tun. So können sie auch frühzeitig eingreifen, unterstützen oder gar professionelle Hilfe einholen, sollte es zu Cybermobbing kommen“, führt Silvester aus. „Interessieren Sie sich, fragen Sie nach, lassen Sie sich die virtuelle Welt des Kindes erklären!“
Zu den wichtigsten virtuellen Kompetenzen gehöre schließlich, über das eigene Erleben sprechen zu können und Worte für die eigene Gefühlslage zu finden, wenn es zu Konflikten kommt. Das befördere auch einen besseren Diskurs im Netz. „Andernfalls kommt es zu gefährlichen Automatismen. Kinder verstehen schnell: wenn ich andere angreife, werde ich nicht selbst zum Opfer, erfahre vielleicht sogar Anerkennung der anderen. Diese Verlockung ist groß und hier gilt es, gegenzuarbeiten! Ermutigen Sie Ihre Kinder, sich auch im Netz in andere einzufühlen und die eigene Verletzlichkeit anzuerkennen. Empathische, selbstbewusste Kinder werden für andere eintreten, wenn die Stimmung in Kommentaren oder Chats feindlich wird.“
Was tun, wenn das Kind online gemobbt wird?
Wenn aber alle Präventionsmaßnahmen versagen, heißt es schnell und bestimmt handeln, um das Kind aus einer hochbelastenden Lage zu befreien. „Sondieren Sie die Lage, aber übergehen Sie das Kind dabei in keinem Fall; agieren Sie gemeinsam und besprechen Sie transparent die nächsten Schritte“, rät die Expertin für Medienpädagogik. Dann geht es um ganz praktische „Erste Hilfe“: Problematische Inhalte sollten dem Betreiber der Seite sofort gemeldet werden, Aggressoren gehören blockiert, Kommentarfunktionen sollte man zunächst abschalten und den Privatsphärenschutz überprüfen, bei despektierlichen Fotos sollten Verlinkungen gelöscht werden. Da sich „Aggressor“ und „Opfer“ in aller Regel aus dem realen, sozialen Umfeld kennen, sollte man im nächsten Schritt auch dringend das persönliche Gespräch suchen und um Unterlassung und Löschung von Bildern oder negative Inhalten bitten. Wenn das nichts nützt, muss die Person beim Anbieter gemeldet sowie Foto / Inhalte als Beweis gesichert werden.
Und wie sollte man das Kind am besten auffangen? „Auch hier gilt, wie so oft: Reden, reden, reden! Kinder dürfen nicht das Gefühl bekommen, dass sie der Situation alleine und schutzlos ausgeliefert sind. Bleiben Sie auch emotional eng bei Ihrem Kind, auch bei älteren Kindern! Oftmals helfen auch Gespräche mit anderen Opfern – und wie sie sich aus der quälenden Situation befreit haben“, rät Silvester.